
Vorige Woche habe ich ja einen recht deftigen Beitrag über das Milieu der Huren in Köln im Mittelalter und der frühen Neuzeit geschrieben. Ich wollte damit beschreiben, in was für einer Welt das Mädchen gelebt hat, um welches es heute geht. Schnell nochmal nachlesen könnt Ihr das, wenn Ihr auf dem Link ganz unten, hinter diesem Text, drückt.
Ursula Judin ist ein Mädchen, das kurz nach 1560 in Friedberg in Hessen geboren wird. Man kann nicht mehr genau sagen, warum genau eine „gute Frau“ sie um 1573 nach Köln bringt. Es liegt aber nahe, dass die Eltern verstorben waren. Sie wird als Jüdin geboren – das lässt der Name ja schon erahnen. Aber das geht zu der Zeit nicht. Also, Jüdin sein ja, aber Jüdin sein und in Köln wohnen, das geht von 1424 bis die Franzosen 1794 kommen, nicht. Ich glaube, da hat man dann mit höchstens 13 Jahren nicht viel beigetragen, wenn man auf einmal als Christenmensch getauft ist. Aber so ist sie hierhin gekommen.
Aufgezogen wird Ursula zur Sicherheit im Konvent „zum Lämmchen“ in der Breite Straße, wo sie auch lesen und schreiben lernt. (Warum sagt man das überhaupt so? Ich kenne keinen, der nur das eine oder das andere kann…) Von dort aus bekommt sie eine Anstellung als Dienstmädchen beim Oberbürgermeister Constantin von Lyskirchen.
Nicht schlecht, dieses Dienstverhältnis, für ein langweiliges Leben im Bürgertum. Aber am Ende sprechen bei so jungen Leuten die Hormone ein Wörtchen mit. Es funkt zwischen ihr und einem Gesellen aus Mainz, sie wird schwanger und zieht mit ihm dorthin. – Wissen wir alle, das geht heute meist nicht gut und zu der Zeit auch nicht. Was auch immer war, 1579 ist sie mit dem Kind wieder in Köln und muss zusehen, wie sie allein klar kommt.
Wie macht man das, wenn an eine Anstellung als Dienstmädchen so gar nicht mehr zu denken ist? 1581 steht sie vor Gericht, weil man ihr vorwirft, ein unzüchtiges Leben zu führen, zu Männern nett zu sein, so dass sie immer wieder von diesen besucht wird. Das weist sie nicht ab und so wird beschlossen, dass sie bei Sankt Kunibert ins „Loch“ kommt, bis sie wieder züchtig ist. – Denkste, die Kavaliere waren so daran interessiert, dass sie eben nicht „züchtig“ wird, dass sie dort niemals ankommt. Als sie frei ist, reist sie zunächst nach Frankfurt, nimmt dort das Messegeschäft mit und ist kurz drauf wieder in Köln, um sich bei den Stammkunden zu bedanken.
Ich möchte nicht rumalbern, aber das Leben aus den Gerichtsakten über Ursula finde ich echt filmreif. Im März 1582 ist sie wieder schwanger, wird aufgegriffen und kann nicht sagen, wer der Vater ist. Sie beteuert aber ein züchtiges Leben anzustreben und nur Pech zu haben. Der Jurastudent Matheis Bloch hätte ihr in einem Brief, den er mit seinem eigenen Blut geschrieben hat, die Ehe versprochen. Natürlich ist er danach verschwunden. Ob es stimmt? Ist sie ein Opfer der Umstände?
Im selben Verhör kommt heraus, dass sie nicht nur selbst eine unorganisierte Hure, die frei auf der Straße arbeitet, ist, sondern auch andere Mädchen verkuppelt. Katharina, die auch festgesetzt ist, sagt aus, dass sie von ihr sehr kurz gehalten wird und die Hälfte vom Lohn abgeben muss. Und überhaupt, einmal hätte Ursula Katharina gezwungen, fünf Kunden hintereinander weg zu bedienen. Ursula entgegnet, dass das nur so gekommen ist, weil Katharina einfach zu viel Lust gehabt hätte. Kennt ihr die Sendung aus dem Fernsehen von damals „Königlich Bayerisches Amtsgericht“? Irgendwie fällt mir das gerade in den Sinn.
Was 1582 herauskommt, ist nicht klar. Es wird still um Ursula, bis sie 1587 in der Achterstraße ein Haus kaufen will! Sie hat soviel Geld verdient, dass sie sich ein Haus kaufen kann! Die Nachbarschaft weiß genau, wer da das Haus haben will und sie wehren sich, weil sie Angst um den Wert der Gegend haben. Gut zu wissen, dass es diese Probleme schon damals gab. Man findet vor Gericht einen Mittelweg: die Tochter von Ursula, Christina, kauft das Haus, das Ursula nutzen darf. Nutzen darf, wenn et daraus keinen Puff macht.
Es ist der letzte Wohnsitz von Ursula, den ich kenne. Aber genau da übertreibt sie es. Natürlich ist das ein Puff und 1590 wird sie verurteilt. Sie soll auf einen Karren gestellt und vom Henker und vom Hurenwirt öffentlich auf den „Berlich“ gezogen werden, um dort ein für allemal im Freudenhaus zu verschwinden. Aber auch da hat sie wieder eine Lösung zur Hand: der Buchbinder Niclaiß Anraidt heiratet sie. Damit ist das Urteil aufgehoben.
Vor Gericht kommt sie nur noch einmal. Vier Monate später klagt die Nachbarschaft wieder, weil in dem Haus noch immer keine Ruhe ist. Es gibt wieder eine Schlammschlacht, wie 1582, und die Richter geben auf. Sie ermahnen alle Beteiligten friedlich zu sein und beenden den Prozess.
All dieser Streit hat Ursula aber auch einen Nutzen gebracht. Sie weiß, wie man mit Ärger fertig wird. Sie kümmert sich anscheinend auch um Huren, die in Bedrängnis kommen. Ganz klar wird dies im Februar 1591. Sie hört von einem Mädchen, das vergewaltigt wurde und das jetzt einen Ausgleich dafür haben will. Vor Gericht hilft Ursula ihr, tritt dabei auf wie eine frühe Frauenrechtlerin. Den Prozess verlieren die beiden aber, weil sich wieder mal nicht genug Beweise finden.
Die Spur von Ursula verliert sich danach. In den alten Akten ist nichts mehr zu finden. Wann und wie sie gestorben ist, ist nicht dokumentiert, wie so oft zu dieser Zeit. Aber war das nicht eine spannende Persönlichkeit? In einem Milieu, das meist nur eine Spirale herab ins Elend bedeutet, einen Weg nach oben zu finden?
Daraus kann man doch einen Film machen. Ein kleines Mädchen kommt allein nach Köln, ist ganz fremd und muss viel lernen, bekommt eine Chance, nutzt sie nicht, kommt ganz unten in der Gesellschaft an und boxt sich mit hohem Einsatz und Egoismus durch, immer in Gefahr, bei einem falschen Schritt, alles zu verlieren. Und am Ende hat sie aber irgendwie auch eine soziale Ader behalten.
Michael
Und hier die Links zum Text von letzter Woche:
Deutsch: https://koelschgaenger.net/2020/03/14/auf-dem-berlich/
Kölsch: https://koelschgaenger.net/2020/03/14/om-berlich/
Die Achterstraße liegt übrigens im Vringsveedel. Sie läuft parallel zur Severinstraße. Dieser Link zeigt Euch über unseren Account bei Find Penguins, wo genau sie beginnt: https://findpenguins.com/…/footprint/5e7517479e7747-23622710
Die Lebensgeschichte von Ursula Judin findet ihr noch genauer dargestellt im Buch: „Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker“ im dtv-Verlag von Franz Isigler und Arnold Lasotta. ISBN 978-3-423-30075-9
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