Ein Herz für den Henker

Tod und Henker

Er ist doch ein brutaler Widerling

Wenn ich an Henker denke, hab ich immer Bilder von stämmigen Kerlen im Kopf, die nichts anderes tun, als Menschen zu quälen oder zu köpfen. Ramona hat ja die Tage über Entgen Lenarts geschrieben, der sie mit zwölf Jahren erst den Kopf abgeschlagen und sie dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt haben. Sie hatte sich vorgestellt, dass ihre tote Mutter sie in Form einer schwarzen Katze besucht. Dies, weil sie sich auf einmal um die noch kleineren Geschwisterchen kümmern musste und ständig nur Druck hatte. Wer hat da noch ein Herz für einen Menschen, der so etwas macht?

Meister Hans

In Köln kennt man über die Jahrhunderte überhaupt nur drei Henker beim richtigen Namen. Selbst in offiziellen Papieren des Bürgermeisters spricht man immer nur von „Meister Hans“. Da denkt man sich heutzutage nichts mehr bei. Man denkt ja, das sei der „Max Mustermann“ von damals, oder? Bei mir war es so, bis ich mir gesagt habe, dass das nicht sein kann. Und wenn man ein wenig im Netz guckt, findet man schnell, dass „Meister Hans“ einen dunklen Zusammenhang hat.

„Hans“ ist ja eine Kurzform von „Johannes“. Jetzt denkt man als Christ bei „Johannes“ direkt an „Johannes der Täufer“. Und da kommt es auch her, dass man den Henker „Meister Hans“ gerufen hat. Und zwar ist doch am 24. Juni der Namenstag von Johannes dem Täufer. Es ist aber auch nicht neu, dass die Kirche christliche Feste gern gerade dann feiert, wenn auch die Heiden gefeiert haben. Dieses Fest ist ganz nah bei der Sommersonnenwende – Mittsommer –, die Heiden seit Jahrtausenden feiern. Weil da ein Zusammenhang zum dunklen Heidnischen zu finden ist, wird auch der Teufel als „Meister Hans“ umschrieben. Das sagt doch jetzt schon viel über die soziale Stellung des Henkers, oder?

Ein Leben lang Scheißjobs

Dass ein Kerl, der offiziell schon mit dem Teufel verglichen wird, keine Arbeit bekommt, wie du und ich, ist klar. Ich hatte ja die Vorstellung, dass der Henker Geld von der Stadt bekommt und dann einfach so ein Opfer foltert oder umbringt. Nein, er musste in der Regel eine Rechnung schreiben und das Geld bei der Familie des Toten eintreiben. Und weil nicht jeden Tag jemand zu foltern, köpfen, vierteilen, verbrennen, sieden oder rädern war, hatte er all das zu tun, was irgendwie keine „Ehre“ hatte.

Er hatte den Auftrag, nach den Huren der Stadt zu schauen und diese zu „beschützen“. Natürlich hat er dabei die Hand aufgehalten. Um die Kloaken hat er sich auch kümmern müssen, also Senken leeren und den Mist abtransportieren. Selbstmörder durfte nur er abschneiden und unter der Türschwelle her aus dem Haus zerren, zum Schindanger fahren und vergraben. Er durfte sie nicht einfach zur Tür heraustragen, weil es sein konnte, dass dann ein Fluch auf dem Haus lag. Habe ich etwas Ekliges vergessen? Bestimmt, es reicht aber.

Eine Arbeit für Unerschrockene

Auch dachte ich von so einer Hinrichtung, dass dort tausende Leute standen und wollten, dass der Delinquent leidet. War auch falsch. Nein, sie wollten, dass alles korrekt abläuft und er hier auf Erden seine Strafe bekommt, damit die Strafe im Jenseits nicht so hart ausfällt. Die Überzeugung, dass man durch eine gerechte Strafe Schuld sühnen kann, war der Grund, weswegen man Verurteilte so traktiert hat. Aber mehr als nötig sollte er auch nicht leiden.

Dabei kam der Henker mitunter unter Druck. Dieser sollte den Kopf sauber mit einem Schlag vom Leib trennen. Das ist mit einem Richtschwert nicht einfach. Man muss mit einem gewaltigen Schlag eine Stelle zwischen zwei Wirbeln genau treffen, damit das funktioniert. Für so einen Schlag muss man sich so weit mit dem Oberkörper drehen, dass man das Ziel nicht mehr sieht, welches man treffen will. Wenn du da jetzt einen Kandidaten hast, der sich nicht fügen will und dabei weiß, dass wenn du nicht triffst, der Mob dir an den Kragen geht, bekommst du Angst. Das ist vielleicht noch schlimmer als ein Elfmeter – glaube ich.

Helfen darf ihm keiner – zwei Beispiele von 1513

1513 kommt es in Köln zu dem Aufstand der Gaffeln wegen Verfehlungen des Rats, bei dem am Ende der Transfixbrief stand. Diese Urkunde sagt vielleicht dem ein oder anderen etwas. Und natürlich wurde gerichtet ohne Ende – Ratsleute, die die Regierung bildeten, aber gegen die Gaffeln verloren.

Kurz vorher hat der Rentmeister von Köln, zu dieser Zeit Johann von Bergheim, seinen Neffen, Reinhart Feugeler, zum Greven ernannt. Der Greve hatte auch die Aufgabe, der Henker des Erzbischofs zu sein und hochgestellte Persönlichkeiten zu richten. Dieses Sonderamt ist sehr spannend, aber darüber muss ich noch viel lesen, bevor ich hier etwas dazu sagen möchte.

Nur, am Ende des Aufstands wurde auch der Rentmeister höchstselbst für seine Verfehlungen verurteilt. Wer musste ihn köpfen? Ja, der eigene Neffe, Reinhart Feugeler, der als Greve frisch im Amt war.

Johann von Bergheim war ein stattlicher Mann mit Haltung und Würde. Er wurde im vollen Ornat auf den Heumarkt geführt, stieg auf das Gerüst und kniete sich ruhig hin, wie es sich auch gehört. Für Reinhart Feugeler war dies die erste Hinrichtung überhaupt. Er beuget sich herunter zum Johannes und sagte: „Herr Gevatter, verzeiht mir, dass ich dies tun muss, tut mir herzlich leid“. Johann von Bergheim erwiderte „Tu Du nur, wie Dir befohlen ist“.

Eben dies konnte Reinhart nicht. Im Schlag bekommt er einen Schwächeanfall und verletzt Johann nur schwer. Meister Hans aber stand daneben, bekam Mitleid, weil das ja noch dauern konnte, nahm sich das Richtschwert und gab Johann schnell sein Ende. Dass Reinhart dies nicht konnte, hat man dem Anfänger entschuldigt. Nur Meister Hans war jetzt auch schuldig – ein Mörder. Er hat gestraft, wo er dies nicht durfte – und wurde ein paar Tage später ersoffen im Rhein bei Sankt Kunibert gefunden. Gestorben für das „Herz“, das er hatte.

Ein paar Tage früher hatte eben dieser Meister Hans einem Verurteilten glatt den Kopf vom Körper getrennt – nur rollte der Kopf von der Tribüne und fiel auf die Erde. Ein Fassbinder nahm den Kopf und warf ihn zurück aufs Gerüst. Damit war er selbst aber „unehrlich“ geworden. Er wurde aus der Zunft und auch aus der Stadt Köln geworfen. Nur der Henker stand zwischen Leben und Tod. Man durfte ihm nicht helfen und ihn auch nicht anfassen. Gut, nach diesem Vorfall gab es zumindest Geländer an der Tribüne.

Und auch die Kinder mussten richten

Isolation, da haben wir ja jetzt alle Kenntnis von. Aber ich glaube, das Leben eines Henkers zu dieser Zeit können wir uns noch nicht vorstellen – auch wenn meine Beispiele schlimm sind. Und „Henker“ war eine Entscheidung auch für die nächsten Generationen. Die Kinder durften nichts „Ehrliches“ arbeiten. So kam es, dass sich ganze Henker-Dynastien gebildet haben, die untereinander in die Lehre gingen. Es waren isolierte Menschen ohne Namen, die man nicht berühren durfte. Zuständig für all den Mist, den wir hier in Köln so gebaut haben.

Michael

Die Sachinformationen und insbesondere die Beispiele sind dem Buch „Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker“ von Franz Irsigler und Arnold Lassotta, erschienen im dtv-Verlag entnommen. (ISBN 978-3-423-30075-9) Es ist zwar irgendwie schwer zu lesen, entwickelt sich aber zu einem meiner Lieblingsbücher.