Orgels Palm

Orgels Palm

Kölsche Originale? Als ich zum ersten Mal nach Ihnen fragt werde, denke ich nur „Wie jetzt? Millowitsch?“. Ja, klar, diesen muss man unbedingt auch so bezeichnen. Man fragt mich aber nach einer Zeit, als unser Köln ein wenig gemütlicher ist, aber auch von starker Veränderung geprägt
.
Das weite 19. Jahrhundert, sagen wir von den 1790’ern bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts ist meist gemeint, wenn man nach „Originalen“ gefragt wird. Also die Jahre der Franzosen und Preußen in unserer Stadt. In dieser Zeit wächst Köln von ungefähr 45.000 Einwohnern auf unglaubliche 400.000 wild schlagenden Herzen an. Es ist heute die „gute alte“ Zeit, von der wir so viel singen.

Im Foyer des Hänneschens sind kleine Skulpturen einiger Originale unter der Decke angebracht. Beim letzten Besuch betrachte ich sie und frage mich „Warum waren sie eigentlich, wie sie waren?“ Oft sind diese schrägen Vögel Habenichtse, Saufköpfe und irgendwie sozial auffällig.80304293_679989879072992_2196360204029788160_o

Ich stoße mit nur wenig Mühe auf die Geschichte des Zweiten von rechts: Orgels Palm.

Johann Joseph Palm, genannt Orgels Palm, kommt am 28. April 1801 hier in Köln zur Welt. Als er vier Jahre alt ist, stirbt seine Mutter – nach der Entbindung seines dritten Geschwisterchens, geschwächt vom Hunger. Bitterarm. Trotzdem, im Alter von 10 Jahren spricht er kölsch und französisch fließend. Im Alter von 10 Jahren konnte ich persönlich nicht mal eine Sprache „fließend“. Das mal nur am Rande.

1815 lernt er Maler, Vergolder und Lackierer. In der ganzen Stadt bemalt er alles, von Kirchengewölben bis Häuserwänden, repariert Fresken und vergoldet sie. Und nach Feierabend hat er tatsächlich zu dieser Zeit noch die Kraft und das Interesse, Musikunterricht zu nehmen.

Aber die jetzt bereits herrschenden Preußen verlangen von jedem wehrfähigen Mann mit 20, dass er sich dem Heer anschließt. Er fügt sich, wird „Schwarzer Husar“ im 1. Leib-Husaren-Regiment Nr. 1. Ungefähr ein Jahr dient er, als er Post aus Köln erhält: seine Jugendliebe wird heiraten – nicht ihn. Sofort reist er an, kann aber diese Hochzeit am 12. Januar 1822 nicht verhindern. Am Folgetag reist er in einer traurigen Trotzreaktion eines eben noch sehr jungen Menschen nach Griechenland und kämpft für die Befreiung Griechenlands von den Türken. Es verschlägt ihn auch in die Türkei selbst und nach Rußland. Dieses Wissen entnimmt man seinen Liedern, die er später singen wird. Schließlich findet er sich 1827 als Militär-Rentner mit einer Schussverletzung im Knie in Berlin wieder.81320400_679989842406329_7235496198277169152_o

Berlin, das hält er nicht aus. Schon drei Jahre später muss er wieder nach Köln. Er kann nicht anders. Hier richtet er sich eine Werkstatt ein und trifft tatsächlich seine Jugendliebe, die mittlerweile Witwe ist, wieder und heiratet seine Cäcilia Hack doch noch. Was ein Glück! – das nicht sehr lange währt. Im Jahre 1839 ist er Witwer und alleinerziehender Vater von vier Kindern. Auch weil diese Situation schwierig ist, heiratet er die Dienstmagd Sophia Kollgraf, die ihm drei Zwillings- (!) und drei Einzelkinder schenkt. Rechnen – das sind insgesamt 14 hungrige Mägen…

So kämpft er mit dem immer größer werdenden Raumbedarf für seine Familie und dem Hunger der Seinen. Zu allem Übel haben Maler keinen leichten Stand. Aufträge sind knapp. Die Schusswunde im Knie schränkt ihn jetzt immer mehr ein. Das sind zu viele Fronten. Er kann diesen Beruf so nicht mehr ausüben. War er nie reich, wird er jetzt arm. Zwei Kinder verhungern. Dafür führt sein Ältester ein unstetes Leben: die zwei Enkelchen kann er direkt mit durchfüttern. Eine Invalidenrente wird ihm seitens des preußischen Staates verwehrt. Der Sozialstaat ist noch nicht erfunden!

Aber 1843 gewährt man ihm eine der begehrten Konzession als Drehorgelspieler – die zu dieser Zeit sehr viele arme Schlucker nutzen.

Wie ernährt man eine so große Kinderschar jetzt bei so viel Konkurrenz? – Indem man sich abhebt, es anders angeht: stets peinlich sauber gekleidet, strahlend weißer Hemdkragen, blankgewichste Stiefel, eine schwarze Jacke, nach Husarenart geschnürt und eine Troddel-Mütze, so zieht er würdevoll schreitend, stets zu jedermann freundlich und fröhlich, oft verfolgt von einer großen Kinderschar, durch die Gassen Kölns und erspielt das Geld für sich und sein Familie. Vier Jahrzehnte lang.

Als im hohen Alter, mit 80, die Drehorgel zu schwer wird, die Beine das Gewicht nicht mehr tragen und er den Schwengel nicht mehr im konstanten Rhythmus drehen kann, bastelt er sich ein Alpenpanorama, dass er sich umhängen kann. Dieses trägt er jetzt durch die Straßen. Er bettelt nicht, er säuft nicht, er wird zeitlebens nicht straffällig. Er sorgt als Invalide ohne fremde Hilfe für diese riesig große Familie.

Unter Krahnenbäumen 111 am 29. Januar 1882 stirbt er, mit 81 Jahren.

Und wir bezeichnen ihn lediglich als „Original“? Was doch gern mit „originell“ oder „witzig“ verbunden wird? Ist er einer den man von oben betrachten und belächeln darf? Oder ist er ein Vorbild für Dich und mich?

Wer bitte, stellt diese Frage jetzt wirklich noch?

Michael

Die Geschichte vom Orgels Palm findet sich sehr detailreich im wichtigen Werk von Reinold Louis. Das Buch „Kölner Originale“ ist im Greven-Verlag erschienen. ISBN 3-7743-0241-3

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