
„Unter dem Schwanz treffen.“ Ui, das sage ich besser direkt auf kölsch: „Loss mer ungerm Stätz treffe“.
Wo trifft man sich mit einem Menschen, den man vorher noch nie gesehen hat? Da kam mir nur eine Stelle in den Sinn. Wo kann man sich nicht verfehlen? Klar, auf dem Heumarkt unter dem Reiterdenkmal von Friedrich Wilhelm III., „Ungerm Stätz“.
Für mich ist es die Stelle in Köln, die mich am meisten an Berlin erinnert. Das ist kein Lob. Ich mag Berlin nicht. Es ist mir zu groß, wirkt mir zu künstlich und überhaupt Preußen… Eine schlauere Begründung habe ich nicht. Aber diese Aversion gegen Berlin ist kölsch. Also kann ich ja auch gar nicht anders.
1815 kommen ja die Preußen unter König Friedrich Wilhelm III. im Zuge der Verhandlungen im Wiener Kongress an die Macht im Rheinland und damit auch in Köln. Das Rheinland wollen sie dabei ja erst gar nicht mal haben, sondern sich lieber Sachsen vollständig aneignen. Man macht ihnen aber klar, dass sie den Mittelrhein als Bollwerk gegen Frankreich auszubauen haben, das ja gerade erst 1813 in der Völkerschlacht bei Leipzig frisch geschlagen wurde. Das Kräftegleichgewicht, das da entstanden ist, gilt es mit dem Bollwerk zu wahren. Tja, und Militär, das können die Preußen. Koblenz und Köln werden Festungsstädte und mit Soldaten überhäuft.
Fühlt Ihr Euch noch wohl? Ich nicht. Spielball der großen Politik – von Mächten, die so groß sind, dass man nicht mal gefragt wird. Und das uns stolzen Kölschen, auf dem Papier weitergereicht. Kein Wunder, dass uns Kölschen eine Berlin-Aversion vererbt wird, oder?
1859 wird ja die alte Rheinquerung für die Bahn, die Dombrücke, gebaut. Ein paar Leser werden gleich kommentieren „Jo, de Muusfall!“ (Mausefalle). Das östliche Ende zieren seit 1862 die Reiterstatuen von König Friedrich Wilhelm IV. und König und Kaiser Wilhelm I. Das gehört sich ja auch so. Immerhin unterstützen die Preußen den Dombau entscheidend – Fertigstellung darf man nicht sagen, fragt Ramona – und setzen uns die Eisenbahnbrücke in dieser unmöglichen Lage vor den Dom. Also hat man die beiden eben da aufgestellt.
Jetzt jährt sich 1865 die preußische Regierung zum 50. Mal. Und für wen haben wir noch kein Denkmal? Richtig, genau der fehlt, der Köln hat preußisch werden lassen, Friedrich Wilhelm III.. Also gebietet es der Anstand, dass der auch irgendwo steht. Das ist soweit der Politik klar.
Bei der Finanzierung wird es dann schon echt eng. Wer gibt denn Geld für etwas, was er eigentlich nicht möchte? Ich selbst bin da auch knauserig. Auch die Künstler weigern sich. So einen Auftrag will hier keiner ausführen. Einzig der Kölner Bildhauer Gustav Blaeser hat da eine Idee…
1878 wird das Denkmal enthüllt, das Tuch fällt und was sich zeigt, ist so unmilitärisch, dass der preußische Hof äußert: Es ist nicht königlich. Geschafft! Da steht die Version eines preußischen Königsdenkmals, über das die Preußen sich ärgern, es aber nicht ablehnen können.
Was hat Blaeser getan? Er hat dem preußischen König, der sich über das Militär definiert, schlicht die wirtschaftlich und kulturell bedeutenden Personen seiner Zeit zugeordnet. Mendelsohn, Beethoven als Komponisten, der Schriftsteller Lessing, der Philosoph Hegel und der Forscher Humboldt sind da unter anderem vertreten. Von den 16 Figuren am Sockel sind mal gerade 6 Generäle. Den Ärger versteht ihr jetzt nicht? Seht Ihr, genauso war das schon immer mit dem gegenseitigen Verständnis.
Und praktisch ist das Teil ja irgendwie auch. „8.00 Uhr ungerm Stätz“. Reicht. Das erkennen die Kölner auch schon bald nach dem Aufstellen. Es ist ein beliebter Treffpunkt. Und wenn man sich so die ersten Male trifft, kann man sein Gegenüber auch ein wenig „testen“. Fragt einfach mal „Was stellt das Pferd vor?“. Die Frage versteht keiner richtig, sie glauben, du hast einen leichten Sprachfehler und überlegen, wer denn da oben drauf sitzt – wissen die wenigsten. Wenn das Gegenüber sich genug gequält hat, dich für einen Klugscheißer hält, sagst du mit einem Schmunzeln „Na, den rechten Vorderlauf…“. Also, ich als „Opfer“ habe gelacht.
1944 zerfetzt eine Fliegerbomber das Reiterstandbild und niemand denkt mehr an es, bis man 1980 Bruchstücke findet, sich erinnert und diskutiert, ob man den Reiter wieder aufstellen soll. Hier in Köln zieht sich das mit dem Denken ja immer so und zieht sich… Dem Künstler Herbert Labusga platzt der Kragen – glaube ich. 1985 baut er die Figur aus Styropor nach und stellt sie einfach auf den Sockel. Natürlich ist so eine Konstruktion nicht standsicher genug. Aber danach lautet die Entscheidung „ja“, wir wollen sie wiederhaben.
Raimund Kittl bekommt den Auftrag, sie, unter Einbeziehung der Bruchstücke, die man gefunden hat, wieder aufzustellen. 1990 ist er fertig. Nur ist in der Eisenlegierung der Beine des Pferdes zu viel Blei enthalten. Das macht sie zu weich und die Figur ist nicht standsicher, wird 2007 wieder abgebaut und repariert.
Aber seit 2010 ist alles gut. Sicher können wir uns jetzt wieder sicher „ungerm Stätz“ treffen und schmunzeln, wenn wir uns ein wenig veräppeln oder eben an die gute alte Zeit denken, damals, wie wir die Preußen veräppelt haben.
Michael
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