
Eine Quotenfrau?
Fygen Lutzenkirchen – sie steht da oben an der Ostseite des ersten Stocks des Rathausturms. Sie soll für die Frauen stehen, die in der Männerwelt im Mittelalter wirtschaftlichen Erfolg haben. Tja, wenn ich nachschlage, stoße ich auf die immer gleichen Erläuterungen, die schnell umfangreich auf die Stellung ihres Mannes ausschweifen… Doch eine Quotenfrau, weil es gerade Mode ist?
Fygen Lutzenkirchen ist eine geborene Bellinghoven. Wann sie geboren ist, wissen wir nicht so genau. Wir vermuten aber, dass es um das Jahr 1450 war. Den Namen Lutzenkirchen nimmt sie an, als sie ihren Peter heiratet.
Großhändler Peter Lutzenkirchen
Peter Lutzenkirchen ist in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Großhändler in Köln. Er kauft Safran in Zaragoza in Spanien und zur gleichen Zeit Rohseide in Ravensburg. Er kommt zu Geld und Einfluss. „Handel“ ist vielleicht schon untertrieben. Er lenkt Warenströme. Das Ansehen der Kölner Kaufleute hilft ihm natürlich. Er hat beste Beziehungen nach Flandern in große Handelsstädte wie Brügge und Antwerpen und in die Niederlande.
Kölner Kaufleute liefern Qualitätsware, das weiß man überall und man kann sich darauf verlassen. Die Kaufleute achten auch sehr darauf, dass die Qualität stimmt. Wie zum Beispiel 1474 der Kölner Kaufmann Johann Westphelinck in Bergen in den Niederlanden minderwertige Seide anbietet, beschweren sich nicht die Bergener, weil sie die ja auch billiger einkaufen können. Nein, die Kölner Kaufleute, unter ihnen auch Peter Lutzenkirchen, lassen ihm den Prozess machen und sorgen dafür, dass dieser erstmal aus dem (Waren-) Verkehr gezogen wird.
Eng verbunden ist der Kölner Handel auch mit der Stadt Frankfurt, in der große Handelsmessen stattfinden.
Die Konkurrenz
Das alles ist entscheidend wichtig für die großen Handelsgesellschaften des Südens, wie die Große Ravensburger oder die Vöhlin-Welser-Gesellschaft. Sie brauchen das Geschick von Peter Lutzenkirchen, der die Waren aus dem Süddeutschen über Frankfurt und Köln nach Flandern leitet. Ein riesiges Geschäft mit Leinen, Wolle, Damast, Samt, Safran, Purpur und Gewürzen aus dem Orient, Rohseide – ein kompliziertes Netzwerk. Peter Lutzenkirchen bringt es zum Ratsherrn der Gaffel „Wollenhaupt“. Sie ist die vornehmste aller Kölner Gaffeln, die Gaffel der Wollenweber.
Fygen kann das aber auch
Fygen Lutzenkirchen wird 1474 Meisterin im Seidmacherhandwerk. In der von Männern dominierten Welt gibt es in Köln und sonst überhaupt nur noch in Paris Zünfte, in der Frauen das Sagen haben. Die Seidmacherinnen und die Garnmacherinnen gehören dazu. Bis 1497 bildet Fygen Lutzenkirchen 25 Frauen zur Seidmacherin aus. Ihre eigenen Töchter, Lisbeth und Agnes allerdings nicht. Diese machen ihre Ausbildung bei der Konkurrenz.
Natürlich hat sie durch ihren Mann Kostenvorteile bei der Beschaffung der Rohseide. Handelt er diese doch in großen Mengen und Köln hat das Monopol in der Herstellung von Seidengewebe. Wenn man böse ist, kann man sagen, dass er sie produzieren lässt, verkauft er doch die fertige Seide am Ende mit großem Gewinn. Aber sie ist eine schlaue Frau, die mehr kann als weben. Sie wird in den Vorsitz des Seidamtes gewählt, in welchem sie sich mehr als 20 Jahre mit ihrem Mann abwechselt. Damit ist sie an der Spitze ihrer politischen Möglichkeiten. Das Seidamt hat keinen Sitz im Rat der Stadt Köln, in dem die Gaffeln der großen Gewerbe regieren. Frauen finden politisch im Mittelalter nicht statt.
Peter stirbt
Als 1498 Peter Lutzenkirchen stirbt, zeigt Fygen, was für eine Frau sie ist. Sie gibt die Seidmacherei auf und übergibt das Geschäft an Lisbeth. Sei wickelt über Jahre die Geschäfte ihres verstorbenen Mannes ab, die ja so sehr in den europäischen Handel verwickelt sind und handelt selbst erfolgreich mit Wein und Drugwaren. Das Wort Drugware kommt übrigens vom niederländischen „droog“, was trocken bedeutet. Im Mittelalter sind dies vor allem Gewürze und getrocknete Heilpflanzen. Aus diesem Handel entwickeln sich später unsere Drogerien von heute.Wenn man das weiß, ist Fygen nicht die Frau im Kämmerlein, die ihrem Mann die Seide webt. Nein, sie ist ihrem Mann ein Partner auf Augenhöhe, die sich in der Männerwelt behauptet. Durch ihr Tun ist sie zu dieser Zeit eine der reichsten Frauen von Köln.
Hätte es Peter ohne Fygen geben können?
Und eigentlich möchte ich noch weiter gehen. Uns Männern ist heute ja bewusst: hinter einem starken Mann, steht meist auch eine starke Frau. Mir bleibt die Frage: Hätte es Peter so in dieser Welt ohne Fygen geben können? Fygens Spur verliert sich nach 1515. Ihr Todestag ist unbekannt.
Michael