
Es ist Nacht in Köln. Neblig. Wenn überhaupt, sieht man durch den Nebel nur schummriges Licht. Die Gassen, durch die ich muss, sind menschenleer. Ich bin allein, komme von einer Veranstaltung und bin unterwegs zurück zu Freunden, bei denen ich ein paar Tage verbringe. Und so langsam bereue ich, zu Fuß zu gehen. Ich war schon oft hier und ich liebe diese Stadt. Aber jetzt in der Nacht wirkt alles so anders. Der Mond bricht gerade durch die Wolken und läßt Häuser und Bäume unheimliche Schatten werfen. Ich beschleunige meine Schritte, ich möchte nur endlich ankommen. Plötzlich fühle ich mich beobachtet. Ich schaue auf und blicke in ein finster dreinblickendes Gesicht mit dunklen Augenhöhlen. Mir stockt der Atem, bis ich erkenne, was mich da anschaut. Dieses Gesicht und einige andere dieser Art habe ich doch hier schon öfter gesehen, aber dann bei Tageslicht. Es sind die sogenannten Grinköpfe, auch Annoköpfe genannt. Warum aber sind diese Köpfe mit den seltsamen Augen über einigen Türen in der Altstadt angebracht?
Gegen Ende des elften Jahrhunderts, Anno war Erzbischof von Köln, gab es ebendort einen jungen Kaufmann namens Richmut. Er hatte einst das Geschäft seines Vaters übernommen, der bei seiner Kundschaft stets angesehen war, aufgrund seiner Freundlichkeit und Ehrlichkeit. Leider hatte Richmut diese Eigenschaften seines Vaters nicht geerbt. Mürrisch war er in seiner Art. Aber was viel schlimmer war…er war hinterhältig und verlogen. Es heißt, eines Tages kam eine alte Frau, eine Witwe, die bereits Kundin bei seinem Vater war, zu ihm ins Geschäft, um Vorräte für den Winter zu bestellen. Wie von jeher gewohnt, zahlte sie diese im voraus und verließ sich darauf, dann auch ihre Waren ordnungsgemäß geliefert zu bekommen, sobald der Kaufmann diese beisammen hatte.
Das aber war ein Fehler, denn als einige Zeit vergangen war, fragte sie bei Richmut nach, wo denn ihre Vorräte blieben. Der Kaufmann behauptete daraufhin, nie eine Bestellung und somit auch kein Geld von ihr erhalten zu haben. Die alte Frau war sehr erzürnt und verlangte entweder nun die Waren oder ihr Geld zurück. Wieder behauptete Richmut, sie müsse sich irren, er habe keinen Auftrag von ihr erhalten. Zornig rief sie beim Verlassen des Geschäftes, dass Gott ihn für seine Tat strafen möge. Darauf ließ sie es aber nicht beruhen. Und so trug sie ihre Beschwerde den zwölf Schöffen beim städtischen Gericht vor. Damit war sie nicht die erste. Doch die Schöffen waren bestechlich und Richmut kam so jedesmal ohne Strafe davon. Leider schien es diesmal wieder so auszugehen. Auch hier schrie die Alte voller Zorn, dass Gott sie alle zwölf für ihre Tat strafen möge. Aber was nun…es blieb nur noch eine einzige Möglichkeit, für Gerechtigkeit zu sorgen. Sie musste ihre Beschwerde gegen die Übeltäter in Köln, die sie so schändlich behandelt hatten, Erzbischof Anno vortragen. Dafür reiste sie sogar zur Abtei Siegburg, Anno hielt sich damals gerade dort auf.
Der Erzbischof tobte und schrie, als er die Vorwürfe hörte, dass er so etwas in seinem heiligen Köln nicht dulden würde. Und er veranlasste, dass der Kaufmann und die Schöffen verhaftet wurden. Ihm vorgeführt, stritten sie nun aber ihre Tat ab. Bis auf einen, der vor lauter Angst schließlich gestand, dass die alte Frau die Wahrheit gesagt hatte. Anno sprach eine grauenvolle Strafe aus. Allen, bis auf den einen, der gestanden hatte, sollten mit glühenden Eisenstangen die Augen ausgestochen werden. Der eine durfte ein Auge behalten, um seinesgleichen zurück nach Köln zu bringen. Zudem musste er an seinem und den Häusern der zwölf anderen Übeltätern steinerne Fratzen anbringen, als Warnung an die Kölner Bürger, Unrecht zu begehen und um zu zeigen, wo die schlechten Menschen wohnen…
Erleichtert, diese unheimliche Stimmung hinter mir gelassen zu haben, habe ich mein Ziel erreicht. Und eins weiß ich… nächstes Mal nehme ich ein Taxi.
Eure Ramona
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