Eine (hoffentlich) unendliche Geschichte

Eine (hoffentlich) unendliche Geschichte

Hier stehe ich…und die ältesten meiner Steine, aus denen ich entstanden bin, sind jetzt 771 Jahre alt. Mein Meister wusste bereits im Geiste, wie ich vollendet aussehen sollte. Er war Steinmetz, Architekt, Statiker…ein Meister in sich, ein Genie seiner Zeit. Und schaut mich an. Ich bin, was er wollte, dass ich werde…ein Stück Himmel auf Erden.

Aber es gab eine Zeit, in der ganz und gar nicht sicher war, dass ich es schaffen würde. 300 Jahre lang, um genau zu sein, sah es im Gegenteil so aus, als sollte ich nur Ruine bleiben. Und dass nicht ich, sondern der Kran auf meinem halbfertigen Turm Wahrzeichen meiner Stadt wird.

Ich habe viel gesehen in all der Zeit. Generation um Generation arbeitete daran, mich wachsen zu lassen, und das war mit den Mitteln, die damals zur Verfügung standen wahrlich nicht einfach. Irgendwann ging dann das Geld aus. Was sollte nun aus mir werden…
Ich sah Menschen kommen und gehen, Jahr um Jahr, ohne, dass sich noch jemand um mich scherte. Im Gegenteil, meine Adresse „Domkloster 4“, wie sie heute lautet, war nicht unbedingt die beste in der Gegend. Um mich herum spannten Frauen höchstens noch Wäscheleinen, Kinder spielten in den schmutzigen Gassen um mich herum. Ich geriet vollkommen in Vergessenheit.

Doch irgendwann, und meine Hoffnung, dass ich eine Chance bekomme, doch noch zu der Kathedrale zu werden, die ich ursprünglich werden sollte, wuchs wieder, schenkte mir ein Kölner Kunsthändler Aufmerksamkeit. Gemeinsam mit einem guten Freund gelang es ihm sogar, Grundrisspläne meiner Westfassade (wie man heute sagt) zu finden.
Es grenzte an ein Wunder, denn eine der Hälften befand sich in Darmstadt, die andere in Paris. Eben dieser Mann war es auch, der nun auch dafür sorgte, dass die benötigten Gelder zusammenkamen. Sogar eine Lotterie wurde für mich ins Leben gerufen und nun dauerte es nicht mehr lange, bis man ein Gerüst anbrachte und ich Meter um Meter in die Höhe wuchs. Sogar der leidige, quietschende, alte Kran verschwand endlich von meinem Turm.

Im Oktober 1880 erstrahlte ich dann in voller Schönheit. Und noch heute sorgen so viele Menschen dafür, dass ich noch immer voller Stolz hier stehe…die beiden Planhälften, zusammengefügt und unter Glas hat man in einer meiner Chorkapellen zum Gedenken an meinen Meister Gerhard aufgehangen. Zum Schutz unter einem grünen Vorhang. Grün…die Farbe der Hoffnung – Zufall?

Heute kommen die Menschen zu Tausenden zu mir, sei es zum Gebet oder auch nur, um das Wunder meiner Existenz selbst zu erleben.
Diejenigen, die genau hinhören, können der Geschichte lauschen, die ich zu erzählen habe. Aber ihr lieben Menschen, die ihr zu mir kommt, ihr könnt meine Geschichte nicht nur hören…ihr könnt sie spüren. Ihr könnt meine 771 Jahre spüren. Und wenn ihr wieder geht, wird euch ein Gefühl von Glaube, Liebe und Hoffnung begleiten. Die Pfeiler, die mich haben werden lassen.

Euer Dom

(von Ramona Krippner)

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